GUSTAV DEUTSCH

FILME & VIDEOS

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GUSTAV DEUTSCH

FILME & VIDEOS

Film ist. 7-12

7 Komisch
8 Magie
9 Eroberung
10 Schrift und Sprache
11 Gefühl und Leidenschaft
12 Erinnerung und Dokument

Während sich die ersten 6 Kapitel des Tableaufilms FILM IST. mit dem wissenschaftlichen Labor als Geburtsstätte des Mediums beschäftigten, sind die nächsten 6 Kapitel dem Jahrmarkt, dem Varieté und dem Studio, als Wiege der Kinematographie gewidmet.

7
Komisch
Bevor durch die Einrichtung eigener Abspielstätten der Film seine dem Theater verwandte Form des Kinos erhielt, war er nicht nur örtlich mit der Welt der "Attraktionen" verbunden. Oft waren die Filmvorführungen Teil von Varieté Programmen, und bildeten in ihren Themen und Sujets selbst Varieté Nummern ab. Zauberkunststücke, Travestien, Slapstick Nummern wurden von den frühen Filmschaffenden in ihren "Sonnenlicht -Studios" mit den selben Darstellern inszeniert und aufgenommen, die in den Varietes vor den Filmvorführungen auftraten.
Mit der Loslösung der Kamera aus ihrer starren Unbeweglichkeit, und ihrer Montage auf allen zur damaligen Zeit zur Verfügung stehenden Fahrzeugen, wurde der Beginn des "Action-Kinos" eingeläutet. Verfolgungsjagden, Kollisionen, Unfälle gehörten zu den beliebtesten Sujets früher Kriminalstories. Nervenkitzel, aber auch die Überschreitung von gesellschaftlichen Tabugrenzen, vor allem im Bereich der Sexualität und der Gewalt, dienten von den frühesten Anfängen der Kinematographie zur Befriedigung der Schaulust der Besucher.
8
Magie
Meister des frühen Films, wie Georges Melies, stammten selbst aus dem Melieu der Schausteller und Magier. Folgerichtig wurden von ihnen daher auch alle jene Tricks und Realitäts-Verfremdungen erfunden, die nur durch die Filmtechnik erzielt werden konnten: Stopptrick, Zeitraffer, Überblendung, Rückläufigkeit, und alle nur erdenklichen Kombinationen.
Film ersetzte Falltüren, Hebel und unsichtbare Stricke. Es genügte die Kamera anzuhalten, während die Dame die Bühne verließ.
Die Transformation - irgendetwas oder irgendwer verwandelt sich in etwas anderes - wurde zum Hauptthema der meisten Film-Zauberein.
Später wurden die gleichen Tricks in normale Handlungsabläufe integriert, und so zu wesentlichen Elementen früher Phantasy- und Horrorfilme.
9
Eroberung
Einflüsse kamen jedoch nicht nur aus der Welt des Varietés, sondern auch aus Attraktionen, die der reinen "Schaulust" der Besucher von Jahrmärkten und Messen dienten: Dem Panorama oder dem Panoptikum. Vor allem der Reiz des Fremden, Exotischen, Unbekannten lag den Vorführungen "anatomischer Wunder", aber auch den Zurschaustellungen von Angehörigen fremder Ethnien, in sogenannten "Völkerschauen" zu Grunde.
Der Film bot die Möglichkeit diese Menschen in ihren fernen Ländern in lebendigen Bildern festzuhalten, und diesen "First Contact" zu Hause gefahrlos mitzuerleben.
Die Eroberung der Landschaft, durch die weltweite Verbreitung der Eisenbahn, ermöglichte in Kombination mit der Filmkamera "Phantom-rides" durch die entlegendsten Gegenden der Erde. Diese weitaus spektakuläreren und lebensechteren bewegten "Panoramen", verdrängten in kürzester Zeit die gemalten Panoramen. Auch das beliebteste Sujet dieser Panoramen, das Schlachtengemälde, wurde vom Film übernommen. Durch den Einsatz des Films wurde der erste Weltkrieg zum ersten medialen Krieg der Weltgeschichte.
10
Schrift und Sprache
Die Rolle des Schaustellers, der seine "Wunder" dem Jahrmarktpublikum anpries, übernahm für den Film der Kinoerzähler. Erst mit Beginn des Filmverleihs wurde es notwendig, den Kommentar in die Filme zu integrieren, sodaß sie sich selbst verständlich machen konnten. Die Geschichte des Stummfilms ist geprägt von den unterschiedlichsten Formen und Versuchen, die Filmgeschichten durch die Integration von Sprache verständlich zu machen: Zwischentitel, Bildinschriften, Briefe und Telegramme, Zeitungsausschnitte, Schriftrollen etc., übernehmen entweder die Rolle des Kinoerzählers, sind Bestandteil der Erzählstruktur, oder erfüllen selbständige narrative Funktionen.
Es war keinesfalls selbstverständlich, daß das gesprochene Wort, der Dialog im Stummfilm nur zwischen den Schauspielern stattzufinden hat. Im Gegenteil: Oft wird der Zuseher von den Protagonisten direkt angesprochen, und der Inhalt durch Gestik und Mimik - ähnlich der Gebärdensprache taubstummer Menschen - zu vermitteln versucht.
11
Gefühl und Leidenschaft
Ähnlich ausdrucksstark, wenngleich schon ohne direkten Blickkontakt zum Zuseher, war die Körpersprache, Gestik und Mimik der Schauspieler früher Melodramen. Die Verstärkung, Übertreibung und bestmöglichen Versinnbildlichung von inneren Gemütszuständen stellte neue Anforderungen an die mimische Kunst der Schauspieler, und an die inszenatorischen Fähigkeiten der Regieseure.
Die italienischen Divas der 10er Jahre erreichten in der emotionalen Darstellung von Leidenschaft eine Meisterschaft und können als die ersten wirklichen Filmstars angesehen werden. Die dargestellten Schicksale spiegeln nicht nur die versuchte sexuelle Befreiung der Frauen wider, sondern auch die gesellschaftlichen Zwänge und Normen: Sie werden entweder wahnsinnig, oder sterben.
12
Erinnerung und Dokument
Der Alltag, das Leben in den Städten und am Land, der Verkehr, aber auch politische oder religiöse Ereignisse, waren von Anbeginn Motive des Filmschaffens. Film als Medium der Erinnerung und als Dokument der Realität war dabei so zweifelhaft, wie heute. Schon einer der ersten vor Publikum aufgeführten Filme der Brüder Lumiere - La Sortie d´Usine - von dem es drei verschiedene Versionen gibt, war keine Dokumentation der Ereignisse, sondern eine genau geplante Inszenierung. Unzählige Reportagen von politischen Paraden und religiösen Prozessionen waren keine Abbildung der Wirklichkeit, sondern Auftragsarbeiten, die nur für den Film abgehalten wurden. Selbst bei tatsächlich dokumentarischen Aufnahmen war an ein Abbild der Wirklichkeit nur dann zu denken, wenn die Kamera versteckt war.
Die Präsenz der Kamera in der Öffentlichkeit veränderte die Verhaltensweisen der Passanten, die auf die Kamera reagierten und dadurch aus der Abbildung des Alltags ein Dokument der Filmaufnahme selbst machten. Umgekehrt waren öffentliche Drehorte für Spielfilmsequenzen oft von Schaulustigen belagert, die so ins Bild gerückt, aus der Fiktion ein Dokument machten.

Tom Gunning, "Film ist. Eine Fibel für eine sichtbare Welt", in: Stadtkino Zeitung Nr.379, April 2002 
Stefan Grissemann, "Das Schweigen erklärt nichts", in: Film ist.7-12, Begleitheft, 2002
Stefan Grissemann, "Kommen, sehen und sichten: Die Welt im Brennglas des Kinos", in: Die Presse, 18.3.2002
Michael Omasta, Michael Loebenstein, "Der Mann ohne Kamera", in: Falter 15/02, 2002
Michael Loebenstein, "FILM IST.Die Freuden des Schneidetischs", in: Falter 15/02, 2002
Claus Philipp, "Auf der Suche nach dem unverdorbenen Blick", in: Der Standard, 13/14 April 2002
Christoph Huber, "Die Straße taumelt, und das Zimmer gleich mit: Eine unendliche Archäologie von Kinowundern", in: Die Presse, 13.4.2002
Dieter Pichler, "FILM IST.7-12", in: RAY Kinomagazin, April 2002
Sebastian Feldmann, "Ordnung gestiftet in der Welt als Scherbenhaufen", in: Rheinische Post, 9.4.2002

Buch, Regie, Schnitt
Gustav Deutsch

Recherche
Gustav Deutsch
Hanna Schimek

Musik
Werner Dafeldecker
Christian Fennesz
Martin Siewert
Burkhard Stangl

Produktion
loop media

Produzent
Manfred Neuwirth

Kooperation
Centre National de la Cinematographie
Cinemateca Portuguesa
Cineteca di Bologna
Filmarchiv Austria
Nederlands Filmmuseum

Vertrieb / Verleih
sixpackfilm
Nederlands Filmmuseum
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