GUSTAV DEUTSCH

Bibliografie thematisch

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GUSTAV DEUTSCH

Bibliografie thematisch

Stefan Grissemann

Das Kino erzählt (sich), wie es will. Jede seiner endlos reproduzierbaren Bildergeschichten wird irgendwo wieder aufgegriffen, auf der Straße gefunden, aus dem Fernsehen kopiert oder auf Flohmärkten angekauft. Im Remix werden die industriellen und die privaten Filme, millionenschwere Star-Produktionen und anonyme Home-Movies in radikal veränderte Kontexte gesetzt, mit neuen Bedeutungen geladen. Die experimentell arbeitenden Filmemacher Österreichs, von denen etliche längst zur Weltspitze der Avantgarde aufgeschlossen haben (stellvertretend seien genannt: Martin Arnold, Peter Tscherkassky, Lisl Ponger), weigern sich, das erzählerische gegen das non-narrative Kino auszuspielen.

Gustav Deutsch denkt da ähnlich. „Ich unterscheide", sagt er, „grundsätzlich nicht zwischen Dokumentarismus und Fiktion. Oft enthalten inszenierte Filmszenen ja viel mehr dokumentarisches Material als sogenannte Dokumentarfilme. Die berühmten ersten Arbeiten der Brüder Lumière etwa sind alle gestellt: Es gibt ja je drei Fassungen von der Szene am Fabriktor oder von der Ankunft des Zuges. Jedesmal ein wenig anders inszeniert."

Zweieinhalb Jahre lang hat sich Deutsch, gemeinsam mit der Künstlerin Hanna Schimek, nun praktisch ausschließlich mit dem frühen Kino befaßt, hat an die dreitausend Filme in europäischen Archiven und Kinematheken gesichtet und mit den spannendsten Bildern, die er dort gefunden hat, einen, wie er das nennt, „Tableaufilm" gestaltet. Das Ergebnis, genannt Film ist. 7-12, liegt nun vor. Die Österreich-Premiere findet dieser Tage in Graz statt, beim heute abend eröffneten Filmfestival Diagonale, deren Intendanten dem Künstler außerdem eine sechstägige Retrospektive widmen.

Gustav Deutsch, 50, arbeitet seit gut zwei Jahrzehnten daran, herauszufinden, wie das Kino funktioniert, wie es die Welt sieht und sichtet, wie es seine Betrachter manipuliert. Kursorische Arbeit liegt dem Mann nicht, die strenge Systematik ist eine Vorbedingung seines Schaffens. Mit den Mitteln des Films, so Deutsch selbst, arbeite er an Film - und er tastet das Medium dabei auf allen Ebenen ab: vom Hobbyfilm, den er vom Amateurfilm strikt trennt (ersterer werde von Leuten gedreht, die - das sei ihre Stärke - nicht wissen, was sie tun, letzterer befasse sich bereits mit dem Film als Medium), bis zum Lehr- und Spielfilm, quer durch die Epochen des Kinos.

Was Deutsch herstellt, auch wenn es bisweilen durchaus komisch aussieht, hat mit Spiel nicht viel zu tun: Die „optisch-akustischen Medien" hält er für „gefährlich, weil wir alle, ich selbst eingeschlossen, immer noch nicht mit ihnen umgehen können, ihre Wirkung nicht einschätzen können. Mit jedem Film aber komme ich einen kleinen Schritt, einen Aspekt weiter. Kürzlich habe ich übrigens einen Satz gefunden, der im Internet-Magazin der Al-Qaida nachzulesen ist: Die TV-Nachrichten, heißt es dort, könnten ein mächtigeres Kampfinstrument werden als bewaffnete Divisionen. Und das ist wahr." Zum Pessimisten wird er dabei nicht: „Ich habe ja nur die Wahl zwischen Fatalismus und Utopie. Und die fällt mir leicht: Ich möchte nicht verzweifeln müssen."

Die Architektur hat Deutsch zugunsten der Kunst Anfang der achtziger Jahre als Berufsperspektive verworfen - „ich wollte keine Kompromisse mehr machen". Seither arbeitet er, betont interdisziplinär, an sozial relevanten Kunstprojekten, die über das Kino, wiewohl dieses seine Basis geblieben ist weit hinausgehen. Seine Film ist.-Serie begreift Deutsch auch nach nunmehr vorliegenden zwölf Kapiteln als work in progress, die Weiterschreibung einzelner Segmente behält er sich, je nach Stand der Forschung, jedenfalls vor. Das frühe Kino hält er für einen „Katalog der Filmgeschichte", in dem quasi nebeneinander, alles schon angelegt ist, woraus auch heute noch Kino gebaut wird. Bewerten, gar herabsetzen will er die Bilder der frühen Filmemacher keinesfalls: Den gern benutzten Begriff vom „primitiven Kino" hält er für schlicht verfehlt.

Sein nächstes Filmprojekt wird sich, nach dem strapaziösen Selbstversuch mit dreitausend Stummfilmen, auf eine einzige kurze Szene, ein Fundstück aus den zwanziger Jahren, konzentrieren: eine Szene, in der auf engstem Raum vieles sichtbar werden soll - Hollywood und die Geschichte des deutschen Stummfilms, das Exotische und das Vertraute, das Dokumentarische und das Fiktive. Die ganze Welt wird in den beiläufig arrangierten Bildern des Gustav Deutsch sichtbar. Wer genau genug hinschaut, wird sie erkennen.